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Deutsche Anleger haben im vergangenen Halbjahr reihenweise Aktien verkauft – obwohl es für den Dax aufwärts ging. War das schlau? Wir fragen nach bei Christine Bortenlänger, der Chefin des Deutschen Aktieninstituts.
HB: Im vergangenen Halbjahr haben sich deutsche Privatanleger scharenweise aus Aktien verabschiedet, die Zahl der Aktionäre ist drastisch gesunken. Haben Sie eine Erklärung?
Bortenlänger: Wir hätten einen solchen Einbruch nicht erwartet. Allerdings steht für das Gesamtjahr immer noch ein Plus. Im ersten Halbjahr ist die Zahl der Aktionäre in Deutschland um 1,5 Millionen gestiegen, in der zweiten Jahreshälfte um 1,3 Millionen gefallen. Die Analyse ist nicht einfach.
Das erste Halbjahr war wohl eher ein Ausreißer, denn tendenziell sinkt die Zahl der Aktionäre seit Jahren. Warum sind erneut so viele Anleger ausgestiegen?
Ich vermute, dass dahinter Gewinnmitnahmen stecken. Nach dem Motto: Was man hat, hat man. Sicherlich spielte auch die wachsende Unsicherheit, wie es an dem Finanzmärkten weitergeht, eine Rolle. Viele verkaufen aus Angst – und legen das Geld aufs Konto. Auf Tagesgeldkonten liegt so viel Geld wie nie. Wir wollen niemanden zum Zocker machen, aber so viel Cash ist sicherlich nicht vernünftig.
Anteil der Aktionäre an der Bevölkerung
Österreich 5 %
Deutschland 6,5 %
Frankreich 9,1 %
Schweden 17,2 %
Schweiz 20,4 %
Großbritannien 23 %
Japan 27,7 %
Niederlande 30 %
USA 56 %
Quelle: Deutsches Aktieninstitut
In der zweiten Hälfte des Jahres haben die Aktienmärkte kräftig zugelegt. Während Großinvestoren ihre Aktienquoten erhöhten, haben die Privatanleger verkauft. Wer war schlauer?
Am schlauesten ist es, regelmäßig Aktien zu kaufen und mittel- bis langfristig zu investieren. So lassen sich auf die Dauer auch Rückschläge aussitzen. Es kann sein, dass sie mal etwas teurer kaufen, dann aber auch wieder günstiger – unter dem Strich werden Sie mit einem Plus rauskommen. Gar nicht schlau ist es, ständig ein- und auszusteigen. Wie heißt es so schön: Hin und her macht Taschen leer.
Eine andere Börsenweisheit besagt, dass es Privatanleger besonders gut darin sind, auf dem Höhepunkt zu kaufen und im Tief zu verkaufen. Was ist da dran?
Da ist schon etwas dran. Aber das ist auch kein Wunder. Es fehlt an Verständnis. Wirtschaft verläuft in Zyklen, nach einer schwachen Phase geht es auch wieder aufwärts. Wer das weiß, kann auch zwischenzeitliche Verluste an der Börse besser aushalten. Außerdem sollte man nicht nur eine Aktie im Depot haben, sondern streuen. Das sind alles Grundlagen der Geldanlage – aber schon daran fehlt es. Die Politik ist gefordert, die ökonomische Bildung stärker zu fördern.
Ist mangelnde Bildung wirklich das Problem? Oder steckt nicht Psychologie dahinter?
Die Psychologie steht uns oft im Wege. Wenn sie schnell Auto fahren, können Sie in einen Geschwindigkeitsrausch verfallen. Das steckt in unseren Genen. Nichtsdestotrotz können wir lernen, damit umzugehen, auch an der Börse.
„Ich investiere in Einzelwerte“
Nach der Wahl in Italien schwanken die Kurse mal wieder wie wild. Ist es da verwunderlich, wenn die Leute keine Lust mehr auf Börse haben?
Ich verstehe die Verunsicherung. Gleichzeitig finde ich es bedauerlich, wenn Chancen nicht wahrgenommen werden. Wir können zu Recht stolz auf unsere Wirtschaft sein. Wenn wir hören, dass Audi einen neuen Absatzrekord in China erzielt, dann freuen wir uns alle darüber. Warum sollten wir davon nicht profitieren, indem wir uns am dem Unternehmen beteiligen?
Kaufen Sie momentan Aktien?
Ich lege immer wieder etwas Geld zur Seite, um Aktien zu kaufen, auch jetzt.
Sie haben also mehr Geld in Aktien als auf dem Tagesgeldkonto?
Das kann man wohl sagen. Ich investiere vor allem in Einzelwerte, gestreut über verschiedene Branchen. Es gibt genügend interessante Unternehmen in Deutschland und Europa.
Was 2012 aus 1.000 Euro wurde
Zypriotische Aktien (CSE) 407 Euro
Öl (WTI) 899 Euro
Spanische Aktien (Ibex) 968 Euro
Chinesische Aktien (Shanghai Composite) 989 Euro
Sparbuch (Durchschnitt) 1005 Euro
Tagesgeld (Durchschnitt) 1014 Euro
US-Staatsanleihen 1029 Euro
Gold 1034 Euro
Bundesanleihen 1038 Euro
Dow Jones 1049 Euro
Silber 1052 Euro
Nikkei 225 1069 Euro
EuroStoxx 50 1149 Euro
Schweizerische Aktien (SMI) 1167 Euro
Italienische Staatsanleihen 1203 Euro
Euro-Unternehmensanleihen (Non-Investment-Grade) 1242 Euro
Irische Staatsanleihen 1297 Euro
Dax 1299 Euro
Griechische Aktien (ASE) 1342 Euro
Griechische Staatsanleihen (inkl. Schuldenschnitt, ohne Rückkauf) 1452 Euro
Türkische Aktien (ISE 100) 1576 Euro
Venezolanische Aktien (IBC) 2882 Euro
Haben Sie damit immer richtig gelegen?
Auch ich habe Lehrgeld bezahlen müssen. Ich hatte mal einen Fonds mit Internet-Aktien. Als die Dotcom-Blase platze, habe ich Geld verloren. Es gibt eben nicht nur Erfolgsstorys. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass Aktien auf lange Sicht eine sehr gute Geldanlage sind. Sie gehören in jedes Depot.
Haben Sie noch Hoffnung, dass die Deutschen eines Tages doch noch zu einem Volk von Aktionären werden?
Das wird nicht leicht. Dazu müsste die Politik die Investition in Aktien erleichtern, zum Beispiel die steuerliche Benachteiligung gegenüber anderen Anlagen aufheben. Außerdem ist die Anlageberatung viel zu stark reguliert. Viele Banken haben die Aktienberatung wegen der komplizierten Regeln vollständig eingestellt. Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Wir sind sehr dafür, die Banken und Märkte sicherer zu machen. Aber es kann nicht sein, dass Bankberater Aktien nicht empfehlen, nur weil die Aktienberatung zu aufwändig geworden ist.
Vielen Dank für das Gespräch.
Christine Bortenlänger ist seit 2012 neue Chefin des Deutschen Aktieninstituts (DAI), der Organisation zur Förderung der Aktienanlage und des Finanzplatzes Deutschland. Sie löste Rüdiger von Rosen ab, der nach 17 Jahren in den Ruhestand ging. Zuvor stand Bortenlänger zwölf Jahre lang an der Spitze der Münchner Börse.
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